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Ute Bales

Autorin im Rhein-Mosel-Verlag

Peter Zirbes

 

Die Kraniche waren zurück. Mit ihrem nimmermüden Kruh-Krürr hatten sie sich nächtens auf dem Mosenberg niedergelassen, den ganzen Tag überflogen sie im Dreiecksflug kreischend das Kailbachtal. Neben dem Patronatsfest, dem Gertrudistag, war das für die fahrenden Händler der ganzen Gegend das Zeichen zum Aufbruch.

 

Schon Tage vorher waren Schmiede, Stellmacher, Schreiner und Maler damit beschäftigt gewesen, den Reisewagen den letzten Schliff zu geben, und jetzt machten sich die Händler mit Pferdegespann und Eselskarren, die Hotte* auf dem Rücken, lärmend auf den Weg. Es war ein aufgeregtes Treiben, wenn die hohen Wagen, mit Segeltüchern überspannt, in Reihen bis zu zwölf hintereinander, ihrer Wege zogen. Steingut, Töpfe, Tiegel, Pfannen und alle erdenklichen Haushaltswaren baumelten an den Karren oder an den Seiten der Zugtiere. Hunde rannten kläffend dazwischen, Planen flatterten, Pferdegeschirre blinkten in der Sonne, Männer schritten Peitsche knallend daneben. Den Schluss bildeten die Ziegen- und Hundekarren, deren Besitzer, meist Frauen mit Kindern, winkend hinterdrein gingen. Unten im Tal trennten sich die Wagen. Die einen fuhren gen Braunschweig, ins Emsland oder ins wallonische Venn, die anderen in den Hunsrück, die Rheinpfalz oder an die Mosel. Haus und Hof ließen sie zurück, die Äcker verpachteten sie an Nachbarn, die ihnen manchmal ein Schwein für die Winterschlachtung hielten.
Eine beschwerliche Reise lag vor ihnen, ungewiss und voller Gefahren. Seit Generationen unternahmen sie diese Fahrten. Viele von ihnen waren auf den Wagen geboren worden, andere gestorben. Zur Kirmes, Anfang November, kamen sie zurück, um schnell noch die im Frühling mit Kartoffeln bestellten Felder abzuernten.
Unter den Hausierern befand sich auch Nikolaus Zirbes, genannt Kläs. Mit einem Eselskarren war er gegen Norden aufgebrochen, um Steingut, Glas und Irdenware feilzubieten. Seiner Abkunft nach war er Landscheider, ein ernster und bedachter Mann, dem unter einem breitkrempigen Filzhut kurze, schwarze Haare wie Borsten vom Kopf abstanden. Vor zwei Jahren hatte er geheiratet und war ins Haus seines Schwiegervaters nach Niederkail gezogen. Seine Frau Katharina, die, wie viele Leute seines Dorfes, das Umherziehen ebenso gewohnt war wie er, war bis letzten Sommer mit auf den Hausier gegangen. In diesem Frühjahr aber sah sich Katharina nicht im Stande, ihn zu begleiten. Der Junge, den sie im Januar geboren hatte, war schmächtig und kränkelte, so dass Kläs alleine ziehen musste.
Früher war Kläs noch bis Sachsen und Böhmen gekommen. In den letzten Jahren führten ihn seine Handelstouren gewöhnlich durch den Hunsrück über Morbach und Simmern bis ins Nahetal oder an den Glan, manchmal von dort an den Bodensee. Nicht nur aus Rücksicht auf seine Familie hatte er diesmal beschlossen kürzere Reisen durch die Eifel, an die Ahr und Richtung Koblenz zu unternehmen. Kläs litt nämlich unter heftigen Gichtanfällen, die sich, obwohl er erst 26 Jahre zählte, durch die Strapazen des ständigen Umherziehens zusehends verschlimmert hatten. Außerdem, und das war ihm überaus wichtig, trug er sich mit dem Vorhaben, ein eigenes Haus
zu bauen, was eine häufigere Präsenz vor Ort nötig machte.
Die erste Fahrt entlang der Kylldörfer verlief abträglich. Mit der Restware vom Vorjahr war kein Geschäft zu machen gewesen und so reiste er Mitte April nach Niersbach, um Töpferwaren zu beschaffen,
kurz darauf nach Echternach der Fayencen wegen, dann nach Mettlach zu den Glashütten und den Porzellanfabriken. Er war froh, auf Kommission kaufen zu können, denn im Voraus war an eine Bezahlung der Ware nicht zu denken. In Merzig feilschte er in einer Keramikmanufaktur um allerhand Porzellan, Teller und Schüsseln mit Blumendekoren. Günstiger als im Vorjahr hatte er den Handel abgeschlossen und in den Dörfern um Trier Profit daraus geschlagen. Aber anders als Johann Bilger, ein fahrender Glashändler, der ihm erzählt hatte, dass in Meißen die Glanzvergoldung gelungen sei und der nun beseelt war von dem Gedanken, ebensolche Waren anzubieten, dachte Kläs nicht an die Ausweitung seines Angebotes, sondern einzig daran, Geld heranzuschaffen, um endlich den engen, feuchten Wänden zu entkommen, wo der Schwiegervater das Sagen hatte.
21 Thaler nähte Katharina im Herbst in ein Kissen ein. In den Wintermonaten trennte sie es mehrfach wieder auf; dabei kam nichts hinzu. Von der Hand in den Mund lebten sie ihr Hausiererleben, das ebenso wie die Handelsgeschäfte aller Landscheider und Niederkailer aus der Not entstanden war.
Es würde nicht einfach sein, aber dennoch: Zusätzliche 50 Thaler musste Kläs über den Sommer auftreiben. Das war mindestens von Nöten, denn für 73 hatte er von der Gemeinde ein schmales, abschüssiges Stück Erde am Ortsrand von Niederkail erworben, das, mit einer knotigen Eiche bewachsen, wenig Platz für eine Scheuer oder einen Stall ließ.
Das ganze Jahr über trug sich Kläs mit Bauplänen, den Kopf voller Zahlen und Maße, hielt auf seinen Handelsreisen überall ein Auge auf günstiges Holz, auf Lehm oder Eisen. Man sah ihn im Wald Bäume kaufen, fällen, sie in die Säge und auf die Zimmerei tragen. Mehrfach holperte sein Fuhrwerk ins Kylltal, um Tür- und Fensterlaibungen
aus Sandstein, außerdem Steinplatten für die Fußböden zu holen. Allewege war er beflissen, nebst Waren für den eigenen Handel auch preiswerte Mobilien, Geschirr und Leinwand für den Haushalt zu erstehen.
Im Winter geriet er mit dem Fuß in eine Fuchsfalle. Haut und Fleisch wurden zerquetscht, so dass er monatelang nur mühselig vorankam. Nicht nur die Vorbereitungen für den Bau mussten unterbrochen werden, ein ganzes Jahr zitterte er um seine Existenz.
Erst im Frühjahr 1827 wurde der erste Stein gelegt und Katharina, furchtsam und mit einem Hang zum Aberglauben, hatte darauf bestanden, dass nach alter Sitte zwischen Steinen und Mörtel eine Schrift eingemauert wurde, welche mit ihren Namen und der Jahreszahl versehen war. »Wirst sehn, dat bringt uns Glück!« Und Glück konnten sie brauchen.