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Ute Bales

Autorin im Rhein-Mosel-Verlag

DEM VERGESSEN ENTRISSEN

Eine Rezension von Detlef Foth

 

 

DEM VERGESSEN ENTRISSEN

Ute Bales Roman "Die Welt zerschlagen"

Eine Rezension von Detlef Foth

 

Zunächst: Dadaismus interessiert mich nur am Rande, von Angelika Hoerle hatte ich einmal gelesen, war mir aber nicht sicher. Über Ute Bales "Großes Ey", ein äußerst gelungenes, ja, großes Buch, stieß ich, nun sehr neugierig geworden, auf weitere Titel von ihr: "Unter dem großen Himmel" und "Peter Zirbes" sprachen mich intuitiv an, und doch fiel die Wahl auf "Die Welt zerschlagen". Warum? Es war mir, als wollte das Buch zu mir finden. Gut so, denn dieses Buch werde ich wohl kaum je vergessen.

Das Genre des biografischen Romans zeichnet sich vor allem durch ein Scheitern an ihm aus. Um die sogenannte Romanbiografie haben sich etliche Autoren vergebens bemüht, früher wie heute, denn die Romanbiografie zählt zu dem Anspruchsvollsten in der Literatur und man kann, wie schon erwähnt, auf vielfältige Weise an dieser Aufgabe scheitern. Oftmals ist die Bewunderung für die erwählte Figur allzu groß, sodass die Schwärmerei des Autors den Leser verlegen macht; oder es mangelt ihm an Anstand und dem nötigen Respekt seiner Figur gegenüber, was den Leser natürlich verärgert. Sehr häufig sind gerade biografische Romane von unschöner Musikalität, wird die Sprache vernachlässigt; der Umgang mit dem letztlich sehr Intimen einer Lebensgeschichte, zudem ja der Lebensgeschichte eines meist Fremden, erfordert ein hohes Maß an Moral, literarischem Vermögen, auch an Klugheit, wenn nicht sogar, ich übertreibe nicht, an Weisheit, einer durch Erfahrung gewonnenen Lehre, wie es trefflich heißt. Kurz, wir haben mit Ute Bales Buch "Die Welt zerschlagen“ den Beleg dafür, dass es durchaus möglich ist, einen Biografieroman zu schreiben, der gelingt und gelungen, ja, großartig ist in dem leisen Ton, mit dem eine große menschliche Tragödie beschrieben wird, einen biografischen Roman, der in seiner Vielschichtigkeit, seiner Wahrhaftigkeit, seiner Verve seinesgleichen sucht. Sprachlich ist der Roman, wie ich finde, ausgezeichnet, nie kommt es, bei aller Problematik des Stoffes, zu einem Misston, einer, auch nur der geringsten literarischen Entgleisung; der ganze Text ist sicher, atmosphärisch dicht, die Dialoge glaubhaft, die Dramatik verhalten. Beschrieben bzw. nacherzählt, vielmehr nachempfunden wird das Leben der Angelika Hoerle, 1899 in Köln geboren und ebenda mit schon vierundzwanzig Jahren gestorben, Tochter eines Möbelschreiners, zunächst Lehre als Modistin, dann, Autodidaktin, die sie war, als Grafikerin und Malerin der Kölner Dada-Gruppe „Stupid“ zugehörig.

Nimmt man nur diese Fakten, fragt man sich unwillkürlich, wie Ute Bales aus diesem spröden Stoff ein derart bemerkenswertes Buch hat machen können. Vielleicht irre ich mich, aber ich denke nicht, dass Angelika Hoerle eine geniale Künstlerin war, auch war sie sicher keine Frühvollendete, aber ich irre mich gewiss nicht darin, dass es in diesem Roman gar nicht ausschließlich darum geht; denn es geht um sehr viel mehr; dieser Roman handelt von einer mutigen jungen Frau, die gegen alle Widerstände ihrer Zeit, gegen alle Konventionen und Hindernisse gelebt, gekämpft und gewirkt hat. Ein Porträt aus feministischer Sicht, ein Antikriegsroman obendrein, das Drama einer scheiternden Ehe, ein Buch über Verrat, über den Unwert falscher Komplizenschaft.

Die Künstlerin bricht gezwungenermaßen mit ihren Eltern bzw. umgekehrt, als sie sich zu dem Maler Heinrich Hoerle bekennt und ihn heiratet.
Neben Momenten der Euphorie, des Aufbruchs und der Innigkeit, überwiegen aber sehr bald Disharmonie, Schweigen bzw. Sprachlosigkeit, Verzweiflung, Eifersucht, Ambition. Heinrich Hoerle wird sehr subtil beschrieben, eine große Kunst, wie ich finde. Heinrich Hoerle, ein Mann mit großem Selbstanspruch, zudem ein Mann, dem es schwerfällt, eine gleichberechtigte Partnerin zu ertragen, womöglich eine mit einem größeren Talent, eine Frau, die möglicherweise größere Aufmerksamkeit erregen könnte, als er, Maler Hoerle. Hier beschreitet Ute Bales ein ganz kompliziertes Terrain, und sie meistert es mit großem Fingerspitzengefühl: Hoerle ist ein mittelmäßiger Maler -möglich, aber kaum wahrscheinlich, dass ich mit dieser Einschätzung falschliege -, unsicher im, wie es scheint, sich hart abgerungenen Selbstausdruck; seine Bilder wirken bemüht, haben keine wirkliche Kraft; es fehlt das Spielerische, das allen großen Meistern eigen ist. Ein Mensch, vom Ehrgeiz zerfressen, stets eifersüchtig, selbst da, wo er es noch nicht mal wirklich ist; sein gelegentlicher Humor wirkt aufgesetzt; er ist nicht großzügig, in keiner Weise, sein geringes Talent und sein wankelmütiger Charakter lassen dies nicht zu.

Ute Bales erzählt unsentimental und doch bzw. vielmehr überaus empathisch, niemals urteilend oder gar verurteilend, wie Angelika Hoerles Versuch der Befreiung aus der kleinbürgerlichen Enge scheitert, und zwar ganz allmählich, so wie es bei den meisten Katastrophen der Fall ist, ganz ohne Schuld, indem sie unvermutet in die nächste Beengung gerät, die der Ehe, schlimmer noch, die der Ehe mit einem mittelmäßigen Maler, der sie mit Idealen lockt, die er anschließend aus reiner Selbstsucht verrät.

Es gibt viele Schilderungen in diesem Roman, die, so nebensächlich sie zum Teil scheinen mögen, von Bedeutung, ja, kostbar sind: wie sie Mehl "stiehlt", um Heinrich dünne Pfannkuchen zu machen, der diese vertilgt, nur um gleich darauf wieder in schlechte Laune zu verfallen. Die mühselige Reise zu Freunden in der Eifel, all die Utopien, die ausgetauscht werden, die außergewöhnlich tröstliche Figur des Jankel Adler, die ganz besondere Figur des Bruders Willy, der kurze Rausch des Karnevals: großartig beschrieben. Wie der Erste Weltkrieg ausbricht: ein Monstrum, das zunächst alle für unmöglich, dann für durchaus möglich und schließlich für unvermeidbar halten, ein Krieg, der alle Werte in Frage stellt, sämtliche Neurungen schon im Ansatz ad absurdum führt: glänzend beschrieben!

Hunger, ewige Geldnot, Kälte, Einsamkeit: und Angelika Hoerle denkt ans Zeichnen! Was für eine Frau, was für eine Haltung! Und Ute Bales vermittelt uns das!

Besonders beeindruckend und von beklemmender Realität sind Bales Schilderungen von Angelika Hoerles jäher Tuberkulose-Erkrankung, dem Mann Heinrich, der entsetzt, gar angewidert, das Weite sucht, seine Frau mittellos sich selbst überlässt - ein Wiederholungstäter im Übrigen. Das lange Siechtum der Künstlerin, das monatelange Sterben in großer Verlassenheit: Um so etwas zu beschreiben, bedarf es schon einiges!

Ute Bales hat den Mut und auch die Fähigkeit, eine jener "Randfiguren"
der Kunstgeschichte dem Vergessen zu entreißen, etwas längst Erloschenes zu beleben, Lebenswege, die uns heute schemenhaft erscheinen, deutlich nachzuzeichnen - sie sagt nicht, wir haben Angelika Hoerle verloren, sie
sagt: Hier, bitte sehr, Angelika Hoerle, so lebte sie, so dachte sie, so sprach sie - und ich verbürge mich dafür, dass all dies der Wahrheit entspricht! Und warum behauptet die Autorin das? Weil Ute Bales diese Wahrheit für die einzig mögliche hält, und das aufgrund von Intuition, Imaginationskraft, Wissen und vermittels großer Recherche. Sie sagt, wir gehen einmal von dieser Wahrheit aus, denn eine andere haben wir nicht.
Und damit, mit dieser Herangehensweise - hier eben am Beispiel der Angelika Hoerle-, ermöglicht sie es dem Leser, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie vielschichtig, wie brisant, wie ungewöhnlich Kunstgeschichte ist, von wie vielen Schultern sie getragen wird, dass Kunstgeschichte ein Prozess ist, niemals abgeschlossen, dass ein Künstlerleben so viel mehr ist, als eine Anekdote, die man an einem launigen Abend zum Besten gibt. Sie teilt dem Leser auf unaufdringliche Weise mit, dass es bei einem Künstlerleben, sofern es sich denn um ein solches auch tatsächlich handelt, immer, und zwar ohne Ausnahme, immer und immer wieder um eine Frage des Seins oder des Nichtseins geht, um Leben und Tod also.

Bald jährt sich Angelika Hoerles Todestag zum hundertsten Mal, und selbst wenn einem ihre Kunst unverständlich und fremd bleiben  sollte, so war sie doch eine tapfere und außerordentliche junge Frau, die ihr Leben im Namen der Kunst und der Liebe - man sehe mir das Pathos meiner Worte nach - nachgerade geopfert hat; ich meine, wir sollten ihr unsere Reverenz erweisen.

Ute Bales Roman erschien bereits 2016; er verdient eine größere Beachtung und bedarf einer Neubewertung, denn wir haben es hier mit einem jener seltenen Biografieromane zu tun, die von zeitloser Gültigkeit sind.

Abschließend noch folgende Überlegung: was hätte Angelika Hoerle wohl zu Ute Bales Buch gesagt?

Danke!

Vermutlich? Nein, ganz sicher.

 

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Detlev Foth
Düsseldorf

www.detlevfoth.de