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Ute Bales

Autorin im Rhein-Mosel-Verlag

Eine spannende Erzählung von farbenreicher Eindringlichkeit und großer Wahrhaftigkeit

Eine spannende Erzählung von farbenreicher Eindringlichkeit und großer Wahrhaftigkeit


Ute Bales‘ biografischer Geschichts- und Gesellschaftsroman über den Eifelmaler Pitt Kreuzberg besticht durch literarischen Bilderreichtum und historische Authentizität


So nah und doch so fern. Mit diesen miteinander verwobenen Betrachterstandpunkten und hoch sensiblen Beobachtungsfähigkeiten – Nähe und Distanz zu den Protagonisten und Erzählsträngen gleichzeitig aufzubauen – lässt sich der literarische Arbeitsansatz von Ute Bales beschreiben. Dazu kommen ihre beeindruckenden Fähigkeiten, mit einfühlsamen Personenbeschreibungen, bilderreich kolorierten Sätzen, atmosphärischer Erzählkunst und umfassenden Geschichtsrecherchen den Dingen genau auf den Grund zu gehen. Was in ihren Büchern so leicht und fließend daherkommt, ist in Wirklichkeit das Ergebnis von großer sinnlicher Intelligenz, außerordentlichem Fleiß, subtilen Beobachtungen und ausgefeilten Überlegungen. Die Menschen, Themenfelder und historischen Referenzrahmen, die sie nuancenreich aufarbeitet und auf hohem analytischem Niveau reflektiert, verkommen bei ihr nicht zur bunt illustrierten Kulisse, sondern werden zu Trägern von intensiver Eindringlichkeit und großer Wahrhaftigkeit.


Wie souverän die Schriftstellerin ihr Metier beherrscht, dokumentiert eindrücklich ihr neuster Roman. Er ist 2012 unter dem Titel „Unter dem großem Himmel – Pitt Kreuzberg – Geschichte eines Unbeirrbaren“ erschienen. Mit 520 Seiten ist es das vierte Opus Magnum der 1961 im Eifler Ort Borler geborenen Autorin. In der Vergangenheit hat sie in erstaunlicher Regelmäßigkeit von zwei Jahren Abstand – „Der Boden dunkel“ (2006), „Kamillenblumen“ (2008) und „Peter Zirbes“ (2010) – mit neuen Werken aufgewartet. Für den Zirbes-Roman wurde sie vor zwei Jahren mit dem Sonderpreis „Buch des Jahres“ im rheinland-pfälzischen Wettbewerb geehrt. Die ständig wachsende Leserfangemeinde hat, wie die Kritiken zeigen, mit großer Begeisterung ihren neuen Band aufgenommen.
Auch wenn Bales seit ihrer Studienzeit in Freiburg lebt und dort als Dozentin an einer Wirtschaftsakademie lehrt, merkt man ihr in den Schriften ihre tief verwurzelte Identität und innere Verbundenheit zur Eifel deutlich an. Diese intensiven Prägungen und detailreichen Fachkenntnisse kommen den Romanen sehr zugute, wenn sie über die Menschen, Kultur, Geschichte und Mentalität der Eifel schreibt. Dabei schreckt sie nicht davor zurück, aus dem mit den Jahrzehnten gewachsenen Freiburger Abstand hinterfragende Beobachtungen und kritische Schlussfolgerungen vorzunehmen. Trotz ihrer persönlichen Nähe zum genius loci der Eifel bewahrt sie in souveräner Weise klare Distanz zu heimatlichen Verklärungen. Mit Heimattümelei haben ihre Schriften nichts zu tun. Schon eher mit dem Versuch, der individuellen Seele, kollektiven Geschichte und dem wahrhaftigen Geist der Eifel auf die Spur zu kommen.


Eine Lesereise in die historische Vergangenheit und Zeitlosigkeit ihrer Mentalitäten


Genauso vielgestaltig wie die einzelnen Lebensstationen vom Maler Pitt Kreuzberg beschrieben werden, genauso dramatisch sind sie mit ihren nicht zu wenigen Abstürzen verlaufen. Vor den launischen, abgrundreichen Wechselspielen der Geschichte – dazu gehören das Kaiserreich, Soldat-sein im Ersten Weltkrieg, Weimarer Zeit, Kunstakademie Düsseldorf, nationalsozialistische Diktatur, Zweiter Weltkrieg, Hiroshimabombe und die Nachkriegszeit – wird der Werdegang des Eigenbrötlers nacherzählt. Herausgekommen ist eine Lesereise in die altlastenreiche Vergangenheit der Deutschen und die Zeitlosigkeit ihrer Mentalitäten und Denkfiguren. Dabei steht der Maler wie eine essayistische Spiegelfläche im Mittelpunkt der geschichtlichen Veränderungen. „Unter dem großen Himmel“ der biografisch vernetzten Erzählstränge des unbeirrbaren Pitt Kreuzbergs entsteht ein facettenreiches Literaturgemälde und zeithistorisches Dokument von eindringlicher Erzählkraft. In bestechend anschaulicher Weise profitieren die einfühlsamen, intelligenten Ausführungen zur Kunst von den profunden, kunsthistorischen Fachkenntnissen der Autorin. Neben ihrer Ausbildung als Deutschlehrerin und Politikwissenschaftlerin hat Bales Kunst und Kunstgeschichte studiert. Diese politischen und kunsthistorischen Fachkompetenzen sowie die tief gehenden, analytischen Sensibilitäten merkt man ihr auf jeder Seite an. Dank ihrer ausgezeichneten Könnerschaft verbinden sich in ihrem Roman in exzellenter Weise sinnliche Leselust und historischer Erkenntnisgewinn. Davon profitiert der Leser in unendlicher Fülle.
Nicht nur die Liebe zur erhabenen Landschaft und den geheimnisvollen Maaren hat den zur Schwermut neigenden Künstler und Familienvater Kreuzberg die längste Zeit seines Lebens in Schalkenmehren gehalten, sondern ebenso die Kargheit, Stille und Einsamkeit der armen, unwirtlichen, abweisenden Eifel. Seine bäuerlichen Nachbarn, im Nationalsozialismus zum arischen Adelsgeschlecht erhoben, ließen ihn seine Außenseiterrolle spüren. Wegen seiner Fremd- und Andersartigkeit als Künstler bezeichneten sie ihn als „Dorfkauz, Drückeberger und Faulenzer“. Die Folge war, dass er in der Dorfgemeinschaft ein Ausgegrenzter blieb. Und jeder Ausgegrenzte weiß, wie schnell sich die Ausgrenzung in die Verfolgung verwandeln kann.
Was den kreuzbergschen Gesellschafts- und Geschichtsroman speziell für Wittlich so außerordentlich lesens- und empfehlenswert macht, sind die diskussionswürdigen Darstellungen über den deutschtümelnden Heimatkünstler, das engagierte NSDAP-Parteimitglied und den arisch selbstbewussten „Oberscharführer der Hitler-Jugend“ Hanns Scherl (1911-2001). Gleich auf mehreren Seiten (336 und 355 bis 362) werden entlarvende Begegnungen von Kreuzberg mit Scherl und dessen NS-Ideologie geschildert. Ohne Umschweife zeigt sich Pitt von dem Wittlicher Bildhauer und seiner banalen Nazi-Kunst angewidert. Mit klaren Worten kritisiert er Scherl und seine Arbeiten, die sich dem Nationalsozialismus verpflichtet haben.


Pitt Kreuzberg trifft auf Hanns Scherl und seine Kunst


So heißt es unter anderem: „Im Heim der NS-Kulturgemeinde in Koblenz, wo er [= Kreuzberg] drei Landschaften ausstellte, traf er auf Künstler, die sich auffallend vorsichtig über den Kriegsausbruch äußerten. ... Einzig der Bildhauer Hanns Scherl, dem Pitt in Wittlich begegnet war, diskutierte über das neue Kunstverständnis und dessen Wichtigkeit für Land und Volk. ... Begeistert ließ er [= Scherl] sich über die neuen Kunsttendenzen aus, was dazu führte, dass Pitt die gesamte Ausstellung immer mittelmäßiger und banaler empfand. Scherls männlicher Akt erfüllte die Vorstellungen von Auftragskunst, wirkte auf Pitt aber ähnlich unbeholfen wie die Holzschnitte [von Scherl]. Brustkorb und Schulterpartie waren überbetont ... einzelne Körperteile ergaben keine Einheit, sondern wirkten zusammengesetzt. Die Übergänge stimmten nicht. Auf dem athletischen, kraftbetonten Körper war ein schematischer Kopf mit trotzigen Augen und kämpferischer Stirn zu sehen, der offensichtlich dem nordisch-arischen, rassischen Menschentypus entsprechen sollte. Auch der Kopf wirkt wie aufgeschraubt. ... [Kreuzberg zu Scherl:] ‚Sie sollten präziser arbeiten! Viel genauer hinsehen. Und ehrlicher werden.‘ Scherl stutzte. Pitt zeigte auf die Bilder im Gang. ‚Geschönt ist das alles. Hier soll den Zuschauern ein Alltag [im Sinne der nationalsozialistischen Heile-Welt-Kunstideologie, Anm. d. Verf.] vorgegaukelt werden, den es nicht gibt‘.“
Da in Wittlich seit 1945 bis heute die NS-Kunst und der nationalsozialistische Konformismus von Hanns Scherl geleugnet werden, lesen sich der biografische Geschichts- und Gesellschaftsroman wie eine aufklärerische Offenbarung und neue Chance zugleich. Dies erkannte ohne Zweifel auch die Scherl Tochter Marianne Baumüller-Scherl. Gleich in zwei energisch intonierten Zuschriften forderte sie die Schriftstellerin unter anderem zu Eingriffen in den Inhalt des Romanes und dessen künstlerische Freiheit auf. Dabei erinnern ihre zensorischen Wünsche an die seit Jahren gängige Praxis der Wittlicher Verwaltung und Politik, wenn es um die Aufklärungsverhinderungen der NS-Vergangenheit von Scherl geht. Ultimativ und mit unmissverständlichen Worten verlangt Baumüller-Scherl am 15. Oktober 2012 im letzten Satz ihres Briefes an Bales: „Ansonsten möchte ich Sie auffordern[,] in einer möglichen Neuauflage die entsprechenden Passagen [zu Scherl] zu streichen.“
Der örtliche Gymnasial-Lehrer und kämpferische Scherl-Fürsprecher Franz-Josef Schmit konnte es in seiner öffentlich bekannten Art nicht lassen, Ute Bales gleich mit mehreren, sehr umfangreichen Schriftsätzen energisch anzugehen. Neben persönlichen Angriffen, die vor Denunziationen und Diffamierungen nicht zurückschrecken, ließ es sich der Deutschlehrer Schmit nicht nehmen, seiner Deutschlehrer-Kollegin der Freiburger Wirtschaftsakademie oberrichterlich wissen zu lassen: „Richtig enttäuscht, verehrte Frau Bales, bin ich über den Schluss Ihres Romans. Statt epischer Breite ein knappes sachliches ‚Nachwort‘ zum Sterben und zur Beisetzung von Pitt K.“ Dass die Schriftstellerin einen Roman und kein Sachbuch verfasst hat, scheint Schmit selbst nach den 520 Seiten nicht aufgefallen zu sein.
Dass der Deutsch- und Ethik-Lehrer in seinen seitenlangen Pamphleten außerdem preisgibt, wie stark er die Scherl-Ausstellungseröffnungsansprache vom Wittlicher Bürgermeister Joachim Rodenkirch beeinflusst hat und dass ihm ein persönlicher Brief vom Scherl-Kritiker, Historiker und Privatdozenten „Dr. Thomas Schnitzler vom 8.4.2010“ an die „Redaktion des Trierischen Volksfreundes“ zugespielt worden ist, setzt den jahrelangen unsäglichen Vorkommnissen die Krone auf. Dazu kommt, dass man sich in der Kreisstadt seit 2008 politisch mit allen Mitteln gegen das europäische Stolperstein-Gedenk-Projekt von Gunter Demnig wehrt, während es in den vielen Ortschaften des Wittlicher Umlandes bereits seit Jahren sehr engagiert umgesetzt wird. Schmit selbst sieht die Stolpersteine für Wittlich als absolut überflüssig an und weist vielsagend darauf hin, dass er auf dem Weg zum Bäcker nicht von diesen gestört werden will.
Ute Bales‘ literarische Botschaft trifft somit in Wittlich auf ein hoch aktuelles Problem und ebenso auf ein seit vielen Jahren hoch emotionalisierten Nerv. Vor diesen Hintergründen lässt sich ihre Erzählung auch als ein Apell lesen, sich endlich in aller „Wahrhaftigkeit“ (wie es auch Georg Meistermann ein Leben lang unermüdlich gefordert hatte) der eigenen biografie- und lokalgeschichtlichen NS-Vergangenheit zu stellen, um die Verleugnungen zu überwinden. Für die schriftstellerisch so überzeugenden Verdienste, auf die selbstheilenden Kräfte der Künste und Aufklärung zu setzen, kann man Ute Bales nur danken. Nach fast 70 Jahre Kriegsende sollte das doch möglich sein?

 

Dr. Justinus Maria Calleen in: Die Schwinge, Kritisches Forum für Kunst, Kultur und Fragen der Zeit e.V., Dezember 2012